Bob Dylan, Gigant der Populärkultur und Literaturnobelpreisträger gibt Konzert in Flensburg
Es war ein Wenig wie die Katze im Sack, man weiß bei Bob Dylan nie so recht, wie er sich dem Publikum präsentiert, zu wandlungsfähig ist dieses Urgestein. Um es vorwegzunehmen: Der Abend war großartig und wird mir lange in Erinnerung bleiben (leider auch der Ticketpreis).Auf der Bühne standen sechs versierte und erfahrene Musiker, die jedem Song professionell eine passende, oft unerwartete Note verliehen. Kernstück des fast zwei Stunden dauernden Konzerts war Songmaterial des aktuellen Dylan-Albums, "Rough and Rowdy Ways". Ich halte es für sehr hörenswert, was ich nicht von jedem Dylan-Albums behaupten würde. Im Konzert aber wurden die meisten der Songs verändert, nur zu reproduzieren, was er eingespielt hat, ist Dylan offenbar zu langweilig. Das gilt auch für die Perlen seiner langen Discographie, "You´ve gotta serve somebody" vom 1979-er Album "Slow Train Coming (was den Beginn des christlichen Dylan markerte) und für den Song, der einfach nur Popsong sein will, "I´ll be your Baby tonight" von der Platte "John Wesley Harding" (1967). Interessant für Menschen ohne viel Dylankonzerterfahrung wie mich war die Instrumentierung.Auf der Bühne waren zwei E-Gitarren, ein Schlagzeug, Bass (e-Bass und gestrichenen sowie gezupften Kontrabass) und diverse Steel und Pedal Steel Guitars, die dem Sound seine eigentümliche aber charakteristische Stimmung gaben. Dazu spielte Dylan Klavier (nicht Flügel, wie in Jazz oder Klassik üblich). Das Entscheidende aber war Dylans Stimme. Er setzte eine recht große Bandbreite ein, von tiefer Lage bis in recht große Höhen. Nur muss man sich das eher wie den Einsatz eines eigenwilligen Instruments vorstellen, das Wort Gesang trifft nur in kurzen Momenten zu. Manchmal war es wie ein Bellen, mit Vorliebe eingesetzt als Emphase. Und so sah ich in dem alten Mann, der sich da hinter seinem Klavier versteckte eher den Literaturnobelpreisträger als den Musker oder gar Sänger. Wie auch immer man auf das Phänomen Dylan blicken möchte, er bietet große Kunst, und das weil sie meist (zunächst) gar nicht nach Kunst klingt (das Zitat habe ich geklaut und abgewandelt, es bezieht sich im Original auf Brahms). Arbeitet man in der Klassik stundenlang am perfekten Klang, so sind Dissonanzen bei Dylan und seiner Band Teil des Konzepts, und zwar anders "montiert" als im Jazz. Ich persönlich empfand aber die Passagen, in denen Dylan einfach nur rezitierte, als Höhepunkte eines an Höhepunkten nicht armen Konzerts. Wenn Dylan dann sagt "I´ve outlived my life by far", ist das ein geradezu ergreifender Moment vor dem Hintergrund seiner fast E II R – haften verlässlichen Präsenz in seinem Geschäft. Ein weiterer persönlicher Höhepunkt war "My own version of you" vom aktuellen Album, das einen permanenten, ostinatohaften Basslauf nach unten hat, was dem Lied eine morbide, fast schon Unheil verheißende Stimmung verleiht. Zum Schluss verschwand Dylan für einen kurzen Moment hinter seinem Piano und kam mit Mundharmonika wieder hervor – grenzenloser Jubel! Was bleibt, ist die Erinnerung an ein Konzerterlebnis mit einem übergroßen Star in Flensburg, der im Prinzip alles bot, was man erwartete, bis auf die schönen Gitarrenmomente. Am Klavier ist Dylan einfach nicht so souverän wie an der Gitarre. Der Genuss war mit Konzertende aber noch nicht vorbei, endlich konnte ich per Fahrrad heimfahren, während die Sitznachbarn aus Hamburg ihre Rückreise im Auto antraten.
Carsten Ingwersen