Das Mandelring Quartett spielt Schostakowitsch und Beethoven - von der Relativität der Langsamkeit

Das Mandelring Quartett spielt Streichquartette von Schostakowitsch und Beethoven – von der Relativität der Langsamkeit
Gleich zu Beginn
warnt der erste Violinist des Quartetts, Sebastian Schmidt, in einer
Kurzeinführung das Publikum vor einem sehr anspruchsvollem Programm, es sei anspruchsvoll auch für die Zuhörer. Schmidt erläutert den Kontext
der Entstehung des Werks und weiß zu berichten, dass der Komponist
die Anweisung gegeben habe, man solle das Streichquartett es-Moll so
langsam spielen, "dass die Fliegen tot von der Decke fallen". Die
Tonart es-Moll und die Satzbezeichnung des fünften Satzes,
"Trauermarsch" wecken Erwartungen in einem unbedarften Zuhörer,
die (glücklicherweise) ganz und gar nicht erfüllt werden. Zwar
entstand dieses Werk nur ein Jahr vor dem Tod des Komponisten, es
beinhaltet aber so viele ungewöhnliche und unerwartete Einfälle,
dass die Zeit trotz des in allen Sätzen langsamen Tempos wie im
Fluge vergeht. Die drei Schmidts (Sebastian Schmidt und Nanette
Schmidt an den Violinen, Bernhard Schmidt am Cello sowie Andreas
Willwohl an der Bratsche) entlocken ihren Instrumenten immer wieder
sehr ungewöhnliche Klänge, die im zweiten Satz teilweise mit dem
Auftauchen und Verglühen eines Kometen verglichen werden könnten.
Es gibt immer wieder Dissonanzen, aber alles wird derart
souverän, fast leicht aber vor allem intensiv musiziert, dass die
erwartete "Zumutung" eher eine "Erleuchtung" ist, ein
Türöffnen in eine Klangwelt, die wohl die wenigsten Zuhörer
regelmäßig betreten. Man ist nur kurz skeptisch, die vier Meister
dieses Konzerts brauchen nur wenige Takte dieser außergewöhnlichen
Musik, um den gesamten Theatersaal in ihren Bann zu ziehen.
Nach der Pause gab es mit Beethovens Streichquartett cis-Moll ein weiteres Spätwerk zu hören, einen "Späthoven", wie Schmidt es ausdrückte. Auch das Streichquartett cis-Moll entstand im Jahr vor dem Tod des Komponisten.
Schmidt zitierte
eine Rezension der Pariser Uraufführung, in der von "Delirium" die Rede war. Heute, so ist sich Schmidt sicher, verstehe
man die Musik, für die man 1826 vielleicht noch nicht bereit war.
Und er verspricht nicht zu viel. Beethovens kontrast- und ideenreiche Musik klingt geradezu
zeitgenössisch, viele Elemente wirken eher bekannt als verstörend
auf den Zuhörer des 21. Jahrhunderts.
Und dann ist da die
geradezu unglaubliche Intensität der Performance des Mandelring
Quartetts. Sie reißt mit, zieht die Zuhörer mit einem feurigen
Wirbel in ihren Bann. Es ist nach dem letzten Takt kaum
verwunderlich, dass alle vier Mitglieder des Quartetts zunächst die
abgerissenen Haare von ihren Bögen zupfen müssen um, nach kurzem
Verschwinden, die Zugabe anstimmen zu können. Wieder
Schostakowitsch, die Polka aus seinem Ballett "Das Goldene
Zeitalter".
Das dritte Meisterkonzert des Flensburger Vereins der Musikfreunde war ein Fest der Livemusik, denn so intensiv wie in einem Konzert lässt sich diese Musik aus der Konserve nicht annähernd erleben. Das Publikum verließ das Konzert im Bewusstsein, dass moderne Musik wie Schostakowitschs Streichquartett aus dem Jahr 1974 zwar anspruchsvoll, aber auch äußerst unterhaltsam sein kann. Das gelingt in dieser Weise längst nicht jedem Quartett.