Peter Grimes in Flensburg - eine moderne Oper, fantastisch präsentiert und randvoll gepackt mit faszinierenden Ideen

Das Schleswig-Holsteinische Landestheater präsentiert eine moderne Oper, randvoll gepackt mit faszinierenden Ideen
Diese Oper von Benjamin Britten führt die Zuhörer zu einigen Eckpfeilern der englischen Volksseele. Ort der Handlung ist ein Fischerörtchen an der englischen Ostküste mit seiner den Naturgewalten exponierten Lage und Fischerkultur. Die Mitglieder solcher Gemeinschaften sind noch stärker aufeinander und auf ein Funktionieren der Gemeinschaft angewiesen als es anderenorts der Fall ist. Anders zu sein als die Gemeinschaft es erwartet, ist dann fatal. Das ist, verkürzt dargestellt, der Hintergrund der Handlung dieser faszinierenden modernen Oper, die musikalisch zu Vergleichen mit Wagner oder Gershwin reizt.
Schon die Partitur dieser Oper ist voll von überraschenden Ideen, die Kornelia Repschläger in dieser Inszenierung noch durch eine große Menge eigener Einfälle unterstreicht bzw. ergänzt. So lässt der Richter zu Beginn der Gerichtsanhörung Grimes nicht ausreden, auch wenn dieser nur den Schwur nachzusprechen hat. Der Richter singt in dieser Inszenierung vom ersten Rang, zwei Gruppen des Chors sind rechts und links im Parkett verteilt. Im Part "Now is the Gossip put on Trial" wird der Chorgesang von einer Militärtrommel begleitet, in dieser Inszenierung gespielt von einem Mann in einem Fell mit Hörnern, das an das ikonische Bild des Sturms auf das Capitol erinnert. Es gibt in dieser Produktion zwar eine große Menge Einfälle, teilweise Statements durch die Inszenierung, dankenswerterweise wurde die Handlung aber nicht aus dem Kontext der Fischergemeinschaft an der Küste "gerissen", es bleiben so die klassischen Bilder von Fischern mit Netzen, nussschalenartigen Booten und dem Fisch selbst.
Die Musik dieser Oper hat oft illustrativen Charakter und arbeitet viel mit klangmalerischen Motiven. Besonders deutlich wird das in den musikalisch farbenreich "erzählenden" Zwischenspielen. Im ersten Zwischenspiel z. B. "schwelgen" die Geigen in hoher Lage, abgelöst von Harfe und dann unterbrochen durch finstere Klänge der tiefer spielenden Instrumente wie Celli und die Blechbläser. Es ist ein Wettstreit der Kräfte, ob Sturm mit Ruhe, Güte mit Boshaftigkeit oder gut mit schlecht ringt ist dann für Interpretation offen.
In dieser Inszenierung werden die Zwischenspiele durch Balletttanz auf der Bühne unterstützt, was einerseits das Verständnis für die Bedeutung der Musik der Interludes für den Handlungsverlauf erleichtert, andererseits durch die bildhafte Darstellung im Tanz den Zuhörern Raum für eigene Interpretation der Musik nimmt.
Sehr schön gelungen ist der Ensemblegesang in Duetten z.B. der beiden Nichten, gesungen von Anna Avdalyan und Małgorzata Rocławska. Zu musikalischen Höhepunkten geraten auch die Chorpassagen. Intensität und Lautstärke der Musik werden hier oft gesteigert, mit ergreifendem Effekt. Chaos, Sturm, Zerrissenheit, all dies findet sich in der Macht des Chorgesangs wieder. Hier hat Avishai Shalom gemeinsam mit den Sängerinnen und Sängern mal wieder fantastische Arbeit geleistet.
Nicht übersteigert, aber besonders interessant ist die Szene zu "Glitter of Waves" im zweiten Akt. Chor und Solist stellen aus dem Off gesanglich das Geschehen im Gottesdienst dar, während Ellen auf der Bühne mit dem von Peter Grimes als Helfer angestellten Jungen interagiert. Hier zitiert Britten musikalisch die für die englische kulturelle Identität so wichtigen Kathedralchöre.
Das Bühnenbild dieser Inszenierung ist sehr opulent und durch Videoprojektion und Lichteffekte teilweise bewegt. Es bleibt nach der Vorstellung aber der Gedanke, dass hier weniger mehr gewesen wäre, das Publikum wird konfrontiert mit Reizen auf nahezu allen Sinneskanälen. Da die Eindrücke aus Musik und das Bühnengeschehen bereits zu sortieren sind, läuft die Inszenierung hier Gefahr, die Menschen im Zuschauerraum mit Reizen zu überfluten. Was als Unterstützung gedacht sein mag, wirkt hier kontraproduktiv als Bürde.
Die Rollen sind optimal besetzt, besonders gelungen jene mit den großen Soloanteilen. Allen voran brilliert Shelly Jackson in der Rolle der Ellen Orford. Sie zeigt eine geradezu unglaubliche Souveränität in einem tonalen Umfang, der eigentlich die Grenzen des Soprans sprengt. Auch Philipp Franke als Captain Balstrode setzt immer wieder eindrucksvolle Akzente und David Esteban meistert die schwierige Rolle des Grimes rundum überzeugend.
Nach dem Verklingen des letzten Taktes braucht das Publikum noch eine Weile, die vielen Eindrücke zu sortieren und so brandet zunächst kein Applaus auf, sondern es baut sich nur langsam eine immer größer werdende Welle auf, die dann In Jubelrufe und Standing Ovation mündet. Es war ein erinnerungswürdiger Premierenabend, die letzte Produktion des aktuellen Teams vor Umbesetzungen der kommenden Saison. Hier ist die Premiere also ein Stück weit auch Ende, nach dieser Saison verlassen Kornelia Repschläger, verantwortlich für die Inszenierung, und GMD Ingo Martin Stadtmüller, der das Orchester souverän auch durch diese klanglich sehr ungewöhnliche und manchmal geradezu "schräg" klingende Oper führt, das Team. Vielleicht ist die Opulenz dieser Produktion auch ein Stück weit diesem Umstand geschuldet.