Rebekka Bakken verzaubert kleinen Saal der Elbphilharmonie

15.01.2023

Manchmal gehen lang gehegten Konzertwünsche in Erfüllung. Gestern gab die norwegische Sängerin Rebekka Bakken ein bemerkenswertes Konzert im kleinen Saal der Elbphilharmonie. Es hätte schon im vergangenen Herbst stattfinden sollen, musste aber wegen Erkrankung der Künstlerin kurzfristig abgesagt werden. Umso größer war die Freude beidseits der Bühne über diesen Abend. Das zeigte sich gleich zu Beginn. Als Rebekka Bakken den Saal betrat, verstummten jegliche Gespräche, es wurde absolut still. Ich glaube, für eine Musikerin ist das ein ziemlich großer Moment, der zeigt, wie sehr ihre Musik wertgeschätzt wird. Rebekka Bakken präsentierte ihr Material solo, sich selbst am Klavier begleitend. Nach einem Song hielt sie immer einmal wieder inne und begründete die so entstehenden Pause damit, dass sie gerade überlege, welcher Song als nächstes am besten passe. Später erklärte sie, dass sie dieses Solosetting genieße, da es ihr ermögliche, die Songs so zu präsentieren, wie sie entstanden sind, solo am Klavier. Es verwundert dann auch nicht, dass die Sängerin mit ihrer angenehm markanten Stimme sich auch an den Tasten souverän und ideenreich präsentiert. Die Bandbreite der von ihr ausgewählten Songs reichte vom norwegischen Psalm ("Korset vil jeg aldri svike") über selbst komponierte Popperlen ("Is That You") bis hin zu Tom Waits Kompositionen ("San Diego Serenade"). Bakken moderierte ihr Konzert in einem Sprachmix aus Norwegisch, amerikanischem Englisch und alpenländischem Deutsch. Die Geschichten, die sie dabei erzählte, gewährten dem Publikum Einblicke in Bakkens Leben und stellten die Songs in einen "Bakken´schen" Kontext. Es war, als würde Rebekka Bakken mit den Zuhörern auf dem Sofa sitzen und ihr persönliches Familienalbum durchblättern und kommentieren. Nur waren es nicht Fotos, sondern Songs. Sie betonte dabei aber auch, dass es nicht darauf ankomme, einen Song genau so zu verstehen, wie der Komponist ihn verstand, sondern, dass man ihn sich ebenso zueigen machen kann und einen neuen Kontext schaffen darf. Bakken lässt sich treiben, das Ziel ihrer Reise nicht kennend. Das kann auch riskant sein und so hielt sie während einer ziemlich schrägen Anekdote aus ihrem Leben inne, um zu sagen: "Oh my god, I can't believe I'm telling you this." Bakkens Stimme ist gereift, und zwar im positiven Sinne. Sie hat gegenüber frühen Aufnahmen (als sie in Rezensionen noch mit Sidsel Endresen verglichen wurde) einen Wiedererkennungswert erlangt, so dass nun eher Bakken herangezogen wird, um andere Stimmen zu beschreiben. Eine Begleitung durch eine Band ist aufgrund der Tiefe und Wärme ihrer Stimme überhaupt nicht erforderlich. Technisch ist die Sängerin so versiert, dass kein Song stilistisch komplett einem anderen gleicht, es ist immer faszinierend, zu hören, wie vielseitig Stimme sein kann. Für "Korset vil jeg aldri svike" steht Bakken vom Klavier auf und tritt an ein Mikrofonstativ. Als sie diesen Psalm vorträgt, ist zumindest in einem Saal wie diesem eine Verstärkung gar nicht nötig, der Techniker mischt aber etwas Hall hinein. Das klingt zwar ganz nett, an sich aber ist es die verspielte Chance, die Qualität von Bakkens Singstimme eindrucksvoll zu beweisen. Und dann ist da noch diese unvergleichliche Stimmung, die beim Hören von Songs wie "September" unweigerlich den ganzen Körper in einen Zustand der Entspannung versetzt, man hörte die Menschen tief durchatmen, Genuss wurde akustisch spürbar. Es war ein ganzer Konzertabend zum Genießen, den Rebekka Bakken mit einem Publikumswunsch abschloss, von dem sie sagte, dass sie ihn eine Ewigkeit nicht mehr gespielt habe: "Any Pretty Girl". Auch das zeigt, welche musikalische Klasse hinter Bakkens Performance steckt. Nicht Wiedergabe eines Tourprogramms, jeden Abend ein anderer Saal aber dieselben Songs, sondern "Individual Choice" Standig Ovation ist der Lohn (was Bakken entging, denn sie eilte nach ihrem letzten Song zum Umziehen, um genug Zeit für Gespräche und zum Signieren zu haben). Sehr sympathisch! Es bleibt eigentlich kein Wunsch unerfüllt. Unklar bleibt nur eines: Warum gibt es noch kein Livealbum dieser einzigartigen Sängerin? 

Carsten Ingwersen