Omer Meir Wellber und Guy Mintus präsentieren in Rendsburg Mendelssohns "Italienische" einmal ganz anders


Der diesjährige Länderschwerpunkt des SHMF ist Venedig und damit Italien. Da liegt es nahe, neben Kompositionen aus Italien auch solche zu präsentieren, die von diesem Land und seiner Musik inspiriert worden sind, wie etwa die Sinfonie Nr. 4 ("Italienische") von Felix Mendelssohn. Omer Meir Wellber dirigierte ohne Taktstock, aber mit sehr raumgreifenden Armbewegungen und viel Körpereinsatz, manchmal meinte man, er wolle abheben Das Orchester folgte ihm konsequent, so dass auch in den schnellen Sätzen noch interessante Nuancen herausgespielt werden. Schon dieses Spiel wäre im großartigen Klangraum der Rendsburger Christkirche ein bleibendes Erlebnis und großer Genuss. Aber Wellber und Mintus wollen noch mehr bieten und schaffen dies auch und zwar in geradezu überwältigender Weise. Mintus, der bereits in der Vergangenheit große Konzerte mit seinen Improvisationen verändert hat und Wellber, der immer wieder sein Akkordeon hervorholte, fügten der Sinfonie Mendelssohns ihre Ideen an den Tasten hinzu. Omer Meir Wellber erklärte das vor Beginn des Konzerts damit, dass Mendelssohn sich von italienischen Melodien inspirieren ließ, die er dann in veränderter Form zu seiner Komposition zusammenfügte. Am heutigen Abend wolle man den umgekehrten Weg gehen und Mendelssohns vierte Sinfonie orientiert an italienischen Liedern verändern. Beide Solisten zeigten dabei einen riesigen Ideenreichtum und erweiterten das klangliche Spektrum ihrer Instrumente durch den Einsatz ihrer Stimmen – mit und ohne Text. Das Konzept ging auf, es war eine berauschende Reise durch die Klang- und Ideenwelt Mendelssohns sowie Mintus´ und Wellbers. Das Sinfonieorchester der Volksoper Wien gab der Sinfonie einen opulenten aber gleichzeitig transparenten Klang, der auch die Improvisationen stimmig unterstützte. Regelmäßig bedienten sich sowohl das Orchester als auch die "Tastenhelden" des "Duktus" des Jazz, klangliche Auflösungen/Abschlüsse gerieten etwas anders als es in der Klassik üblich wäre. Dennoch klang alles stimmig, es war kein Widerspruch oder Bruch erkennbar. Das Ende der Sinfonie war aber noch lange nicht das Ende des Konzerts. Es folgten Zugaben, die ebenso einfallsreich waren, wie die Veränderungen an der Sinfonie zuvor. Mintus und Wellber wurden für ein Stück verstärkt durch einen Kontrabassisten aus dem Orchester und die drei zeigten, dass ein jazziges Klaviertrio auch aus Klavier, Akkordeon und Bass bestehen kann. Die Improvisationen, die Guy Mintus an Tasten und "aus dem Kasten" des Flügels zauberte, gerieten derart opulent und souverän, dass sie auf jedem Jazzfestival willkommen wären. Wellber war von der Bühne verschwunden, tauchte aber aus dem hinteren Bereich des Kirchenschiffs wieder auf, zog Akkordeon spielend durch die Kirche nach vorn, wo er sich an den Bühnenrand und zu Mintus auf den Klavierhocker setzte. Etwas Show, die perfekt zu diesem Konzert passte.Als die begeisterten Zuhörer durch erneute Standing Ovation ihren Wunsch nach noch mehr Musik artikulierten, wurde aus dem Publikum noch Mintus´Frau hervorgezaubert, die den abschließenden Part gesanglich erstaunlich gut disponiert und höchst professionell bereicherte. Was zu Beginn des Festivals vor annähernd 40 Jahren vermutlich komplett undenkbar gewesen wäre, nämlich ein Werk der großen Orchesterliteratur zu verändern und einfach mal anders zu präsentieren, entspricht heute dem Geist des frischen und in alle Richtungen offenen Musikfestivals. Und so war man als Zuhörer an diesem Abend bei "dieser" Italienischen Sinfonie von Mendelssohn gleich in mehrfacher Hinsicht sehr nah am Kern des diesjährigen Festivals.