Wolfgang Muthspiel - Trio in Hamburg - ein Konzert, das sprachlos macht vor Begeisterung
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Wolfgang Muthspiel - Trio in Hamburg - ein Konzert, das sprachlos macht vor Begeisterung
Ich schreibe gerne über Konzerte, aber es ist das erste Mal, dass ich den Eindruck habe, mir fehlten die Worte, um das Gehörte in annähernd angemessener Weise widerzuspiegeln. Hier dennoch ein Versuch:Der Wiener Gitarrist Wolfgang Muthspiel gab gestern mit Scott Colley (b) und Brian Blade (dr) ein Triokonzert im kleinen Saal der Elbphilharmonie in Hamburg. Alle drei sind ausgewiesene Meister ihres Fachs. Gemeinsam erschaffen sie Klanglandschaften, die an Kreativität kaum zu überbieten sind. Ihr Konzept ist eigentlich nicht ungewöhnlich, meist ist es Muthspiel, der an der Gitarre eine kurzes melodisches Thema anspielt, das dann von allen drei Musikern klanglich variiert und entfremdet wird. Das Ungewöhnliche ist die Ausführung dieses Musters, Muthspiel, Colley und Blade kreieren Klangcollagen, die permanent überraschen und sich ebenso wie die Farben der gelungenen Beleuchtung des Bühnenbereichs im schönen holzverkleideten kleinen Saal der Elbphilharmonie, ständig dynamisch veränderten. Dabei greifen sie nicht auf bewährte genrespezifische Jazzelemente zurück, sondern finden einen eigenen Weg, den "roten Faden" durch ihre Stücke zu entwickeln. Es ist wie eine Reise ohne definierten Weg, durch komplexe Landschaft, mal im Nebel liegend und von einem kurvigen Weg durchzogen, mal ganz klar vor einem liegend, der Weg "straight". Wer sich davon ein Bild machen möchte, dem sei auf der aktuellen CD "Dance of the Elders" der Titel "Prelude to Bach" (mit dem Choral "Wie soll ich dich empfangen" aus dem Weihnachtsoratorium) empfohlen, den die drei allerdings leider gestern im Konzert nicht präsentierten. Kein Thema wird überstrapaziert, kaum dass man als Zuhörer eine Idee begriffen hat oder etwas in den Klängen (das Wort "Melodie" trifft meistens nicht so recht zu) entdeckt hat, wird dies bereits vom nächsten Einfall abgelöst. Das gilt besonders für das Schlagzeugspiel von Brian Blade. Er hebt die Bedienung seines Instruments auf "das nächste Level", steuert mit ständigen, fast immer lautstärkemäßig zurückhaltenden Akzenten (von vertrackter, aber stets passender Rhythmik bis zu markant getupften, geradezu gestrichenem Fell) zum Gesamtklang bei wie ich es bislang noch nie vom Schlagwerk erlebt habe. Welche Bedeutung Muthspiel, Colley und Blade der Rhythmik beimessen, wird besonders deutlich in "Dance of the Elders". Muthspiel und Colley nehmen hier ihre Hände von ihren Instrumenten und ergänzen Blades Spiel mit rhythmischem Klatschen.Auch Scott Colley am Bass zeigt den Zuhörenden, wie vielfältig der klangliche Stempel sein kann, den sein normalerweise (bis auf kurze Soli) im Hintergrund agierendes Instrument einem Konzert "verpassen" kann. Muthspiel spielt sowohl ein akustische als auch eine elektrische Gitarre und arbeitet immer mal wieder mit dezenten Loops und Effektgerät, um die klangliche Bandbreite zu erweitern. So souverän und kreativ das Trio auch spielt, es scheint Muthspiel wichtig zu sein, bedeutenden Impulsgebern für seine eigene Kreativität einen gebührenden Platz im Konzert zu geben. So erklärt er den rätselhaften Titel "Cantus Bradus" als Hommage an den Jazzpianisten Brad Mehldau und auch der Schlagzeuger Paul Motian erfährt als Inspirator für das Trio eine Hommage, indem die drei einen seiner Titel spielen.Nach gut anderthalb Stunden und zwei Zugaben verlassen Muthspiel, Colley und Blade die Bühne und lassen ein Publikum zurück, das eine ganze Weile braucht, um den Genius dieses Klangkollektivs (der Bandname "Tonbruket" ist ja leider schon vergeben) zu verarbeiten. Wie gesagt, dieses Konzert machte mich sprachlos, ich bin noch immer damit beschäftigt, das Gehörte zu "sortieren". Nur eines war mir sofort klar, der weite Weg der Anreise nach Hamburg hatte sich definitiv gelohnt.
Carsten Ingwersen